Friedensnobelpreis 1917: Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Friedensnobelpreis 1917: Internationales Komitee vom Roten Kreuz
Friedensnobelpreis 1917: Internationales Komitee vom Roten Kreuz
 
Das IKRK wurde vor allem wegen seiner Verdienste um die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
 
 
Comité International de la Croix Rouge (Internationales Komitee vom Roten Kreuz, IKRK), im Februar 1863 in Genf von fünf Schweizer Bürgern gegründet, später auf 25 Mitglieder erweitert, zentrales Organ des Roten Kreuzes, das über die Einhaltung der 1864 beschlossenen Genfer Konvention wacht und die internationale Arbeit der mittlerweile 114 nationalen Rot-Kreuz-Verbände koordiniert.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erhielt 1917 den einzigen während des Ersten Weltkriegs vergebenen Friedensnobelpreis. Eigentlich hatte das Nobelkomitee beschlossen, den Preis während der Kriegsjahre nicht zu vergeben und die Preisgelder für die Dauer der Kampfhandlungen dem Stiftungskapital zuzuweisen. Vor allem der Fürsprache von Louis Renault (Nobelpreis 1907) hatte es das IKRK zu verdanken, dass das Osloer Komitee eine Ausnahme machte. Renault hatte sich im Januar 1917 mit einem Memorandum an das Nobelkomitee gewandt und die Verdienste der Organisation insbesondere um die Kriegsgefangenen gewürdigt.
 
Die Freude in der Genfer Organisation über den Preis war groß, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, denn das IKRK war in dieser Hinsicht völlig von den nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften abhängig. Sein Finanzbedarf war gerade während der Kriegsjahre immens, als die Arbeit für Kriegsgefangene besondere Anforderungen stellte. Die Preisverleihungszeremonie fand am 10. Dezember 1917 in Oslo statt, anders als üblich unter fast völligem Ausschluss der Öffentlichkeit. Selbst ein Vertreter des IKRK fehlte, lediglich der Sekretär des Nobelkomitees, Ragnvald Moe, hielt eine kurze Rede, die aber nicht überliefert ist.
 
Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, 1863 von Henri Dunant (Nobelpreis 1901) in Genf gegründet, war damals eine private, unabhängige Gruppe Schweizer Bürger, die 25 Mitglieder umfasste und sich während des Kriegs als strikt neutrale Institution betrachtete. Sie nahm Vermittlungsaufgaben wahr und kümmerte sich vor allem um die Einhaltung der Genfer Konvention, die 1864 den Umgang mit Kriegsgefangenen festgelegt hatte und in der Folge zumindest auf dem Papier auch von allen Krieg führenden Parteien unterschrieben worden war. Zahlreiche Delegationen, meist anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, versuchten, durch regelmäßige Kontrollbesuche in den am Ersten Weltkrieg beteiligten Ländern, die Einhaltung dieser Standards zu überwachen. Die Proteste beim IKRK häuften sich jedoch mit zunehmender Kriegsdauer: Lazarette wurden bombardiert, Kriegsgefangene immer unmenschlicher behandelt, Rot-Kreuz-Güter beschlagnahmt. Ignorierte eine Kriegspartei die Kritik des IKRK, wurden die Verstöße gegen die Genfer Konvention im »Internationalen Bulletin« einer breiten Öffentlichkeit bekannt gegeben.
 
 Erste Erfolge und die Zentralstelle für Kriegsgefangene
 
Allerdings war auch das IKRK häufig sehr zurückhaltend mit seinen Forderungen: So dauerte es bis zum Februar 1918, ehe endlich eine Protestnote alle Krieg führenden Parteien dazu aufforderte, den Einsatz von Giftgas einzustellen. Dabei hatte das Deutsche Heer bereits am 22. April 1915 erstmals Chlorgas eingesetzt, wobei 5000 französische Soldaten schwerste Vergiftungen erlitten. Viele von ihnen starben. In der Folge waren Attacken mit Chlor, Aethylschwefel (Senfgas) und Phosgen an allen Fronten an der Tagesordnung. Das Verbot von Giftgas wurde schließlich im Juni 1925 im Genfer Protokoll auf Betreiben des Roten Kreuzes und mit Unterstützung des Völkerbunds rechtsverbindlich. Selbst während des Zweiten Weltkriegs wurde es weitgehend eingehalten.
 
Die wichtigste Neuerung der Organisation während des Kriegs war aber die Einrichtung einer Zentralen Agentur für Kriegsgefangene in Genf 1914, wofür auch der Nobelpreis vergeben wurde. Eine der Hauptaufgaben dieser Institution war die Information der Angehörigen über den Ort und das Wohlbefinden von Kriegsgefangenen. Die Autorität dieser Institution war weithin anerkannt. Offizielle Listen mit den Namen der Kriegsgefangenen wurden von allen Kriegsparteien in regelmäßigen Abständen an die Organisation geschickt, außerdem waren die Mitarbeiter der Institution autorisiert, direkt in den Kriegsgefangenenlagern und Krankenhäusern Informationen über den Zustand und die Nationalität ihrer Insassen einzuholen.
 
Die Organisation hatte eine wahre Papierflut zu bewältigen: Ab Ende des Jahres 1914 kamen täglich bis zu 30 000 Briefe in Genf an: Helfer mussten angestellt werden, die meisten arbeiteten ohne Bezahlung. 1915 waren es 1200 Mitarbeiter, die Millionen von Karteikarten anlegten, Briefe weiterleiteten, Anfragen beantworteten. Viele Angehörige sprachen auch persönlich in Genf vor, in der Hoffnung, so schneller und genauer über das Schicksal ihrer Angehörigen informiert zu werden. Ein improvisierter Besuchsdienst empfing bis Kriegsende etwa 120 000 Personen. Auch die Weiterleitung der Briefe und Pakete an die Gefangenen stellte eine enorme logistische Leistung dar: In mühseliger Kleinarbeit wurden Adressen korrigiert und Briefe nach kompromittierenden Stellen durchforstet, um den Adressaten keine Schwierigkeiten zu bereiten. Insgesamt wurden während der vier Kriegsjahre 1,9 Millionen Pakete an die Gefangenen weitergeleitet.
 
Obwohl keine internationale Konvention die Krieg führenden Staaten dazu verpflichtete, schwer verwundete und schwer kranke Gefangene nach Hause zu schicken, setzte sich das IKRK mit seiner Forderung nach Repatriierung durch. Konvois mit schwer verwundeten Soldaten durchquerten die Schweiz. 1916 war es den gemischten ärztlichen Komissionen erlaubt, in den Gefangenenlagern beider Seiten kranke Soldaten für eine Internierung in der Schweiz auszusuchen. Von 1916 bis 1918 konnten so 68 000 Soldaten in die Schweiz und damit aus den Kriegsgefangenenlagern herausgebracht werden.
 
 Begrenzung der Dauer der Kriegsgefangenschaft
 
Im April 1917 machte das IKRK die Krieg führenden Staaten auch auf die unzumutbare Dauer der Kriegsgefangenschaft und deren Auswirkung auf die Gesundheit der Gefangenen aufmerksam. Für weit verbreitete Psychosen gab es nach Ansicht der IKRK-Delegierten nur ein Heilmittel: die Freiheit. Eine halbes Jahr vor dem Waffenstillstand unterzeichneten schließlich Frankreich und Deutschland ein Abkommen, das eine Freilassung nach 18 Monaten Gefangenschaft vorsah. Für die Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs kam dieses Abkommen reichlich spät, doch dass es überhaupt zustande kam, bewies einmal mehr den Einfluss des IKRK und rechtfertigte nachträglich auch die Auszeichnung mit dem Nobelpreis.
 
M. Geckeler

Universal-Lexikon. 2012.

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